zur Person

Das Triplett

über Musik, Sprache und Moleküle…

Der Umgang mit Tönen und der Umgang mit Stoffen sind nicht unvereinbar. Im Roman "L´écume des jours" von Boris Vian unterhalten sich Colin und Chick über ein von Colin konstruiertes Gerät, das Pianocktail, eine Mischung aus Klavier und Cocktailmischapparatur:

- Quel est ton principe ? demanda Chick.

- A chaque note, dit Colin, je fais correspondre un alcool, une liqueur ou un aromate. La pédale forte correspond à l´oeuf battu et la pédale faible à la glace. Pour l´eau de Seltz, il faut un trille dans le registre aigu. Les quantités sont en raison directe de la durée: à la quadruple croche équivaut le seizième d´unité, à la noire l´unité, à la ronde la quadruple unité. Lorsque l´on joue un air lent, un système est mise en action, de façon que la dose ne soit pas augmentée - ce qui donnerait un cocktail trop abondant - mais la teneur en alcool. Et, suivant la durée de l´air, on peut, si l´on veut,

faire varier la valeur de l´unité, la réduisant, par exemple en centième, pour pouvoir obtenir une boisson tenant compte de toutes les harmonies au moyen d´un réglage latéral.

- C´est compliqué, dit Chick.

Das Pianocktail, Hybridkonstruktion aus Klavier und Laborapparat symbolisiert ganz gut das Interesse eines Menschen für Musik und Naturwissenschaften (und Kneipen). Jetzt, 62 Jahre nachdem Boris Vian das Prinzip dieser Maschine entworfen hat, findet man im Google unter dem Suchbegriff "Synthesizer" sowohl Maschinen zur Erzeugung von Klängen als auch Laboranlagen zur Produktion von Oligonukleotiden, (DNA-Sequenzen).

Auch die Sprachmaschine, wie sie Boris Vian außerdem noch vorschwebte, gibt es bereits: Sprachsynthesizer, Spracherkennungsprogramme und auch Reimprogramme.

Serge Gainsbourg, dessen Chansontexte einzigartig sind, wird von Pierre Saka als "Der Alchimist" bezeichnet: 

Aucun Boeing sur mon transit

Aucun bateau sur mon transat

Je cherche en vain la porte exacte

Je cherche en vain le mot exit


Je chante pour le transistors

Ce récit de l´étrange histoire

De tes anamours transitoires

De Belle au Bois Dormant qui dort


Tu sais ces photos de l´Asie

Que j´ai prises à deux cents Asa

Maintenant que tu n´es pas là

Leurs couleurs vives ont pâli


J´ai cru entendre les hélices

D´un quadrimoteur mais hélas

C´est un ventilateur qui passe

Au ciel du poste de police


L´anamour (Serge Gainsbourg)

In seinem einzigen Roman "Evguénie Sokolov" beschreibt Gainsbourg auf provokante und ironische Weise das Experimentieren mit (allerdings biologisch-metabolisch) generierten Gerüchen. Hier fällt einem dann irgendwo der Begriff Geruchsorgel ein, und analog zum Pianocktail dann wohl das Pianodeur.

Tonstudio

Tonstudio

Mikrofone

Live-Setup mit Piano und Samplern

Sound-Performance

Biographie

Geboren in Hessen, aufgewachsen in Niedersachsen, dann in Augsburg, ging er anschließend zum Studium nach München.1983 Chemiediplom an der TU München, Diplomarbeit über spiralförmige organische Makromoleküle. Schon früh hatte er sich allerdings auch auf die Musik verlegt. Es folgteneine klassische Klavierausbildung in Braunschweig und eine zusätzliche Ausbildung in Jazzharmonie bei Götz Tangerding in München. Nach einigen Jahren konventioneller Pianotätigkeit d. h. Rock-& Roll, Barmusik, Dixie, Swing und Jazz verlegte er sich schwerpunktmäßig auf die Kleinkunst, auf das französische Chanson und auch auf den Gesang. Er ist bei der GEMA als Komponist und Textdichter registriert. Zur Zeit ist Tom Gratza in den Sparten Jazz, Chanson, Musikkabarett, Kleinkunst und Theater tätig. 

CD-Tipps

Koxie, Album 2007

Bei längeren Autofahrten, z.B. zum Fête de la Musique in die Bretagne, greift man irgendwann zu solchen Alben, die dann doch nie endgültig abgeleiert sind, weil erstens ein paar richtig gute Titel drauf sind, die man auch schön mitsingen kann (den Refrain), und wo´s trotzdem immer noch was zu entdecken gibt. Die 2007er Hiphop-CD von KOXIE ist so ein Album. Wir haben schon geschmunzelt über den Videoclip zum Titelsong „Garçon“ mit Koxie auf der roten Vespa. Und dann das Wortspiel, das sich ums Ç (la cedille !) dreht bzw. das Weglassen desselben, woraus dann Gar Con wird, was mehr oder weniger Idiot heißt. Koxie treibt auch sonst ziemlich viel Schabernack, losgehen tut´s schon mal mit einer durchaus dörflichen Blasmusik, nach dieser Durststrecke von 16 Takten erfolgt der Einstieg zum HipHop. Im Gugel liest man, dass Koxie, d.h. die 1972 in Paris geborene Laure Cohen eine zutiefst solide Laufbahn (Studium Schauspiel und Tanz in NY) hinter sich hat, und dann, wieder zuhause, in Paris auch noch eine Schule für Theater, Gesang und Tanz (FAME) aufgemacht hat, auch einige Theaterstücke inszeniert hat. Beim Anhören merkt man, sie weiß was sie tut.. Hiphop ist nicht Dreh- und Angelpunkt, sondern wird eher als Basisfahrzeug verwendet, denn Koxie macht wirklich gute Texte, Außerdem bekommen wir vorexerziert, was man alles durch diesen Extruder namens Rap pressen kann, nämlich von Polka über Rockballade und Latin bis Jazz schlichtweg alles. Auch nicht fehlen darf eine Nummer, die mit einem nervigen nächtlichen Anruf vom Balzmonster beginnt, wie schon Serge Gainsbourg und Jane Birkin demonstrierten mit „Racrochez c´est une horreur“.Bei Koxie ist das der Titel „Je fais des rimes“, in dem u.a. der Satz sich im Hirn festbeißt „Et puis tant pis si Koxie gêne, je fais des rimes et c´est mon oxygène“ Auch sonst lässt Koxie kein gutes Haar an ihren Mitmenschen, z.B. wenn sie über ihre Tussenfreundin herzieht, eine leidenschaftliche Anhangerin des griechischen Philosophen Hypocrit: „Mon meilleure amie, tu es toujours là pour moi, quand j´ai besoin de rien, je sais je peux compter sur toi“. Schön, dass es wenigstens woanders auch Leute gibt, auf die man sich so richtig verlassen kann. Schlussbegutachtung, die 2007er Koxie ist was besonderes, für HipHopfetischisten und Chansonleute, für jeden was dabei und doch kein lauwarmer Kaffee. Mein persönlicher Lieblingstitel „Femme de football fan“, hier wieder mal der Beweis, dass in einem Song auch gelacht werden darf, ähnlich Serge Gainsbourg, der sich des öfteren beim Singen räuspert, oder Charles Aznavour, der in einem Chanson sogar gähnt „Et bailler et dormir“ , und der ja zu Frau Cohens Lieblingen gehört, er ließ sich sogar neulich mal mit ihr ablichten, eigentlich der letzte ganz Große.

Clarika, «Moi en Mieux» 2009

Ich geb´s ja zu, dass ich ein eingefleischter Fan von CLARIKA bin. Sie kann einfach so erfrischend ironisch sein. Seit Frühjahr 2009 gibt´s jetzt ein neues Album von Clarika alias Claire Keszei. Schon seit 16 Jahren liefert sie beständig Alben ab: J´attendrais pas cent ans (1993), Ça s´peut pas (1996), La fille tu sais (2001), Joker (2005) und jetzt: Moi en mieux (2009), heißt „ich, aber in einer besseren Version“. Wieder ist das Konstruktionsprinzip ihrer Texte die Aufzählung, wieder hat Jean-Jacques Nyssen die Musik beigesteuert, man sollte meinen, dass jetzt ein Ermüdungseffekt eintritt. Dies ist nicht der Fall. Das Album ist vielmehr klasse. Clarika kennen die meisten erst seit „Beau comme garçon“ und „Les garçons dans les vestiaires“ , in denen sie mit ihrer gewohnten spitzzüngigen Art über gockelhafte, selbstverliebte, angeberhafte Schönlinge herzieht, allerdings mit einer so hinterhältig treudoofen Ironie, dass es einen schüttelt.. Übrigens kriegen auch die Mädels ihr Fett ab z.B in. „Cher Cousin“. Dieser Tradition bleibt Clarika treu. Die Musik von J.J.Nyssen wirkt komischerweise nie flach und gleichförmig, man würde das als landläufige Pop-Rock-Unplugged-Elektronik-Mischmasch bezeichnen, aber die Musik stimmt einfach. Z.B der zweite. Titel „Les bavards“ geht wirklich ab, wäre vielleicht unter der Rubrik „Pop-Boogie“ abzulegen. Dann wieder mit „Lâche-moi“ ein Vertreter einer längst ausgestorben geglaubten Spezies, ein Titel im ¾ Takt. .Sehr schöne, teilweise orchestrale Musik gibt´s auch bei „C´est l´hiver“ und „Des bulles“. Und zum Schmunzeln wieder „Je ne serais pas“: Clarika zählt auf, was eben alles NICHT mehr aus ihr werden wird, z.B. „je ne serais pas hôtesse de l´air pour la Lufthansa“ oder „ je nagerais pas avec les dauphins. . .“ Nicht zu verkennen ist, dass die Themen sich nun ein bisschen konzentrieren auf Bilanzen wie: Was bin ich, was wollte ich werden, was wollen die anderen aus mir machen (moi en mieux), was werde ich bestimmt nie mehr. Aber eines ist ganz klar, nämlich was Clarika tatsächlich geworden ist: Eine zentrale, ernstzunehmende Figur in der neueren französischen Musik, die tolle Texte schreiben kann (elterlich auch massiv vorbelastet) und die es geschafft hat, über Jahre einen hervorragenden Musiker zu halten, ohne langweilig zu wirken. Auch wenn der letzte Titel des Album „l´ennui“ heißt.

Céline Caussimon,

«Le Moral des Ménages» 2007


Eher ein ziemlicher Geheimtip ist CELINE CAUSSIMON. Die CDs muss man im Ebay ersteigern oder im Laden in Frankreich bestellen und wartet dann ein paar Wochen drauf.

Ihr Vater, Jean-Roger Caussimon ist in Frankreich ein recht bekannter Sänger gewesen, hat viele Titel für Léo Ferré geschrieben. So was prägt anscheinend.. Von den drei Sängerinnen, die ich heute vorstelle, ist Celine Caussimon diejenige, die am ehesten unter die Rubrik „Poetin“ fällt. Alle drei haben wunderbare reichhaltige Musik aus verschiedenen Sparten unter ihren Texten. Alle drei können sehr ironisch sein. Die Chansons von Celine Caussimon würde man am ehesten als klassisches Chanson bezeichnen. 

Auf den früheren Alben z.B. „Folies ordinaires“ von 2003 waren schon hervorragende Titel drauf, z.B. „Folies ordinaires“ mit einer raffinierten, wirklich krummen und vertrackten Bebop-artigen Intro, ganz dem Titel entsprechend, dann „Je sais que je ne suis pas jolie“ (Welche deutsche Popsängerin würde die Stirn haben, allen Ernstes so einen Text zu schreiben und rauszubringen?), „En dessous de seuil de la pauvreté“ (starke Musik), Ich weiß nicht woher und warum sie den Titel „La complainte de Fantômas“ von 1933 ausgegraben hat, der von dem französischen Dichter und Resistancekämpfer Robert Desnos zusammen mit Kurt Weill geschrieben wurde, ein Lied über den Massenmörder Fantomas, der im französischen Original eben so gar nicht lustig ist, im Gegensatz zu den Verfilmungen mit Louis de Funès, die man bei uns kennt. Jedenfalls passt dieses Chanson wie angegossen zu den anderen dazu. 

Jetzt aber zu Celine Caussimon´s neuestem Album „Le moral des ménages“ von 2007, die Musik liegt irgendwo zwischen Jazz, Musette, Pop, aber Vorsicht: mit Überraschungen! das Ganze äußerst textlastig, ohne die Musik zum ungeliebten Vehikel zu degradieren. Jetzt begreift man aber, warum anstelle des Begriffs Chanteuse auch Diseuse (Erzählerin) verwendet wird. Keine CD zum Durchlaufenlassen als Hintergrundmusik in einer Cocktailbar. Stattdessen tolle abwechlungsreiche Musik. Die Texte sind teilweise ziemlich politisch und gesellschaftskritisch z.B. „Cerveaux dispos“. Celine Caussimon ist von den hier besprochenen Künstlerinnen nämlich auch diejenige, die am ehesten Aussicht darauf hat, dass eins ihrer Lieder mal verboten wird, wie die berühmten Vorbilder z.B. Boris Vian („le déserteur“) oder Serge Gainsbourg (je t´aime, moi non plus“). Man kriegt Lust, mal auf ein Live-Konzert von Celine Caussimon zu gehen, am besten irgendwo, wo man danach zum Hotel nur noch ein paar Schritte zu Fuß hat. Und das hab ich mir für 2009 ganz fest vorgenommen.

Bertrand Burgalat "Chéri B.B" 2007


Wer sich öfter mal umschaut in der aktuellen französischen Musik- und auch Filmszene, der stößt immer wieder überraschend auf BERTRAND BURGALAT. Kleiner Auszug aus dem Register: Nach der Gründung des Labels Tricatel brachte er 1996 eine CD mit seiner damaligen Freundin als Sängerin, der ziemlich bekannten Kabarettistin und Regisseurin Valérie Lemercier, heraus. Dann neben Werbejingles immer wieder Musik für andere, z.B. Nick Cave, Cinnamon und sogar für den Romanautor Michel Houellebecque ("Extension du domaine de la lutte" ,dessen Romane gibt's mittlerweile in Deutschland auch als Theaterstücke, "Kampfzone" und "Elementarteilchen"). 19 Titel von verschiedenen Gruppen, bei denen er die Musik beisteuerte, sind auf der wunderbar abwechslungsreichen CD "The Genius of Bertrand Burgalat" . Da wäre besonders zu nennen die Musik für das eindrucksvolle Album "Vertigo" der schwedischen Band Cinnamon. Und immer noch kein eigenes Album. Macht ja nix, dachten die meisten. Jedenfalls tolle Musik.

Auch von ihm sind die Soundtracks zu den Filmen "Quadrille" und "Palais Royale". Alles in allem ein ziemliches Arbeitspensum. Ein Typ, bei dem sich die Leute fragen, ob er überhaupt schläft, der sich auf Pink Floyd, Françoise Hardy und Serge Gainsbourg bezieht. Von ihm stammt auch der Ausspruch, es gäbe nie zu viele Synthesizer im Studio, und solche ketzerischen Statements in Zeiten des tiefsten Unplugged, daran sieht man schon das zutiefst querulatorische Potential von B.Burgalat.

Gerade beim neuesten Album "Chéri B.B." (2007).ist Bertrand Burgalat wieder als Verkleidungskünstler unterwegs. Und seine Maskerade ist perfekt konstruiert. Insgesamt gibt es viele Instrumentaltitel, die restlichen zeigen den Meister an den Stimmbändern, in recht eigensinniger Manier: Nicht pretentious, nicht cool, kein vibrato, keine machomäßige oder gefühlshaftige Art, kein "gewisses Etwas" und kein rätselhafter "Abgrund" in der Stimme…

Diese Art von Schnörkellosigkeit ist so selten, dass man auf die Frage: Ja was bleibt denn dann noch übrig? sagen muss: Hörs dir einfach mal selber an. Einziges Markenzeichen: Bei englischen Texten die konsequente Verweigerung der richtigen Aussprache des th, eben franglais. 

Bereits auf dem 2000er Album waren schöne Vocaltitel drauf z.B. "Ma Rencontre", eine Begegnung mit sich selbst an der Straßenecke, oder "L´observatoire", über die Schwierigkeiten, einer bestimmten Person erfolgreich in den nur 200 Pariser In-Kneipen aus dem Weg zu gehen. Auf dem 2007er Album setzt sich das fort mit interessanten Texten. Und als musikalisch-stilistische Wiedergeburten fallen auf: "This Summer Nicht", perfekt inszeniert wie ein Discotitel der frühen 80er, alles ist da, sogar so die Flöte der Dire Straits klingt kurz an. Ähnlich geartet der Titel "Anonyme Amour". Weiter hinten dann ein etwas unterkühlter Rock´n´Roll-Titel, "Out of Touch". Der absolute Etappensieg ist hier "Mal de Bright", in dem er alle Krankheiten aufzählt, mit denen man sich, als Mitglied welcher "Szene" auch immer, interessant machen kann / sollte. Unglaublich gelungene Fälschung, wie von Serge Gainsbourg selbst geschrieben und gesungen, von der Beriberikrankheit über das Fukuyama-Syndrom bis zur Leishmaniose, der Text bringt mindestens die Äuglein des Facharztes für Tropenmedizin zum Leuchten.

Doriand "le grand bain" 2004


Laurent Lescarret alias DORIAND gehört zu den gelinde gesagt unaufdringlichen Erscheinungen im französischen Pop- und Chansonbereich. Nach "contact" von 1996 und "sommets trompeurs" von 1999 ließ er im Jahr 2004 das Album "le grand bain" folgen. Kam das 1999er Album einem beim ersten Anhören noch etwas brav vor, schön die 4 Takte immer ausgespielt, nichts eingeschoben, nichts abgebrochen, so fragte man sich damals schon: Trotzdem, was ist es, was an diesem Album so interessant ist? Doriand artikuliert ganz deutlich, man versteht jede Silbe, er hat kein krampfhaftes Erkennungsmerkmal wie viele Sänger, z.B. Vincent Delerm (ständiges Sweepen der Stimme von unten nach oben) oder Garou (zu deutsch Werwolf), der sich mit seiner besonders virilen Stimmführung eindeutig als Zielsystem den weiblichen Korperflüssigkeitsstoffwechsel auserkoren hat. 

Das ist eben das Erkennungsmerkmal von Doriand. Er hat keins. Kein aufgesetztes, vordergründiges jedenfalls. Aber mit den Texten hat er sich Mühe gegeben.

Anhand von z.B. Haushaltsgeräten ( "le séche-cheveux", "la machine à laver") erklärt Doriand Probleme, die in Partnerschaften auftreten. Oder anhand von Magneten "les aimants". Die Magneten und die Liebenden, das Wortspiel zwischen les aimants und les amants ist natürlich schon ein Klassiker mittlerweile. 2 tolle Songs sind auf dem 1999er Album jedenfalls drauf : "l´eau minérale" und "le claquement de mes doigts" Soweit die Titel auf der 1996er CD.

Doch nun zu "le grand bain": Akustisches Piano ist präsent und es gibt starken Synthi-Einsatz. Die Musik ist gut rockig, jedoch nicht "erdig" im Sinne der Lederjacken- und Weizenbierfraktion. Es macht alles einen recht distanzierten, vornehmen Eindruck. Der Leadgitarrist darf hier z.B. fast nie mit den üblichen zutiefst virtuosen Pentatonikläufen beeindrucken. Keren Ann, über die ich demnächst hier was schreiben werde, ist mit dabei beim siebten Titel "l´age des saisons". Bei ihr ebenfalls kein vibrato wie bei Doriand. Die Stimmcharakteristik der beiden erzeugt einen akustischen Winter ähnlich wie bei dem Song "les rivières de Janvier" auf dem Album "la disparition" von Keren Ann. 

Außerdem sind auf "le grand bain" sehr hörenswert: " aucune personalité ", und z.B. "Johnny Flyer". Bei letzterem schlüpft Doriand, mit unverstellter Männerstimme immerhin, in die Rolle einer Frau, so was ist auch eher unüblich im heutigen Musikbetrieb. Meistens werden ja umgekehrt von Männern geschriebene Texte dann einer Sängerin in den Mund gelegt, was sich dann oft in grotesker Weise bemerkbar macht. Bloß gut, dass normalerweise niemand auf den Text achtet. 

Bei Doriand denkt man außerdem oftmals zuerst, der Text sei ernst gemeint, es mehren sich jedoch bei weiterem Hinhören die Zweifel, ob Doriand uns nicht wieder veräppelt, z.B. "les filles qui j´aime". irgendwie der Tröstemann für die Freundinnen anderer Männer, scheinbar platonisch, aber in Wartestellung, immer ein offenes Ohr, aussitzen. bekochen, warten auf die Krise. " Oui, elles me parlent des heures de leurs amants, et je les comprends " Man sieht ihn förmlich auf dem Sofa sitzen, verständnisvoll kopfnicken, süßliche Äuglein machen, ihr Glas nachfüllen, seins nicht . " elles passent chez moi, quand elles ne vont pas bien la nuit, je leur fais des petits plats, il paraît que je ferais un bon mari, puis elles endorment . . . " 

In " aucune personalité " outet sich Doriand, u.a. was die Herkunft des Namens betrifft: "Mr.Durand de St. Machin, si propre qu´on peut y voir le dedans". Und "Je n´suis pas chanteur à voix", hier ist der Sänger imho allzu bescheiden.

Interessant ist, wer außer Keren Ann noch alles mitgemischt hat bei Doriand: Philippe Katerine ("100 % VIP") und z. B. Alain Chamfort. Jedenfalls bin ich mal gespannt, was da in Zukunft noch alles ausgebrütet wird. Zu erwarten ist wohl kein Schwulst nach dem Motto "endlich kann ich mal offen über meine Gefühle und Träume sprechen", vertraute Auskunft deutscher Popbands. In deren Texten dann auch oft so Wörter wie "unendlich" und "Sterne" etc. auftauchen, weswegen solche Texte dann eben auch zwar allgemeingültig aber langweilig wirken. Dazu die Musik: Meistens "ehrlicher", seit vielen Jahren harmonisch sowie rhythmisch unveränderter Pop /Rock. Soweit die kleine Tirade zur derzeitigen deutschen Musikszene. 

Doriand vertritt eher eine hierzu gegenläufige Stilrichtung, sachlich, konkret, ins Detail gehend und elegant.

Bei VALÉRIE LEMERCIER fragt man sich übrigens, warum sie es bei einem einzigen Album belassen hat, offensichtlich reizt sie nicht alles bis zum letzten aus, während andere beamtenhaft alle 2 Jahre eine CD rausbringen. Die Antwort dürfte sein: Sie macht lieber Filme und Kabaretttexte. Die Texte auf der CD sind eben auch kabarettistisch z.B. "Quand je l´ai vue", die Mutter aller Spottlieder, oder der Song über die Botschaftparty, am Schluss noch mit "Paris secret" eine leicht spröde Liebeserklärung an Paris. Man sieht hier wieder mal, dass Brecht nicht ganz daneben lag mit seiner Anschauung, dass Schauspieler oftmals interessanter und lebendiger singen als Sänger. Als Gipfel des understatement gibt Valérie Lemercier im booklet noch eine gewisse Annette Charlot an, die ihr eigens für das Album Gesangsunterricht gegeben hat. Superwitziges Album jedenfalls (CD "Valérie Lemercier chante" 1996).

Dann bringt Burgalat drei eigene Alben raus: "The SSound of Music" (2000), "Portrait Robot" (2005) und "Chéri B.B." (2007), von denen mir ganz persönlich das erste am besten gefällt: "The SSound of Music". Ein Titel "Attention Amiante", Thema Asbest: Hier hört man anstelle von Drum Sounds das Kracksen, Brechen und Knirschen von Abbruchbaumaterialien. Man merkt schon, da fuhrwerkt jemand glückselig mit Samplern und virtuell-analogen Synthies rum. Er hat keine Hemmungen, er probiert alles aus. Nichts ist vor ihm sicher. Alles kann für einen Augenblick auftauchen und wieder in der Versenkung verschwinden auf ewig. Der Charakter der Titel wechselt, es geht rauf und runter, auch mit der Lautstärke. Für Leute die immer durchlaufende beats und ein gleichbleibend Geborgenheit ausstrahlendes Klanggefüge fürs Wohlbefinden brauchen, ist das vielleicht dann doch nichts. Es würde sie möglicherweise nur erschrecken.

Stilistisch könnte sagen, die Musik bewegt sich zwischen Elektronikpop, Easy Listening, Psychedelic Rock. Aber es ist auch nicht sinnvoll, jetzt irgendwelche Schubladen zu suchen.. Hat man ihn irgendwo dingfest gemacht, kurz darauf hält man wie bei Arsène Lupin nur den Mantel in der Hand, es war nur eine Verkleidung, er ist schon längst woanders. Das, was man für einen eingruppierbaren Stil gehalten hat (in Deutschland fragen alle zuerst immer, was es denn für eine Stilrichtung sei, gaaanz wichtig hier), stellt sich also entomologisch gesprochen, eher heraus als Griff- und Bissschutztracht (Vortäuschung eines Körperzentrums an falscher Position zum Schutz vor Fressfeinden).